Ehrenamt – die Herzkammer des Handwerks Delfino Roman, Präsident der Handwerkskammer Hildesheim- Südniedersachsen, 60 Jahre Sie sitzen in Prüfungsausschüssen, sind Mitglied der Vollversammlung der Kammer, im Vorstand einer Innung oder bringen sich in die Arbeit ihrer Kreis- handwerkerschaft ein - Tausende von ehrenamtlichen Meistern und Gesellen gestalten mit ihrem fachlichen Wissen die Zukunft ihrer Berufe und Branchen. Das Selbstverwaltungsprinzip des Handwerks ist jahr- hundertealt. Es basiert auf ehrenamtlichem Engage- ment und bindet Betriebsinhaber und Arbeitnehmer gleichermaßen ein. Bei der Weitergabe von Wissen an die Fachkräfte von morgen und bei der Besetzung der wichtigen Prüfungsausschüsse ist das Know- how der Profis aus der Praxis unverzichtbar. Gleich- zeitig müssen die Anliegen unserer Betriebe und ihrer Mitarbeiter an die Politik vermittelt werden: Was ist uns wichtig, welche politischen Rahmenbedingungen braucht ein leistungsstarkes Handwerk? Die Selbstverwaltung steht und fällt mit einem klaren Bekenntnis und dem Willen, die Initiative für andere zu ergreifen. Sich selbst zu organisieren ist ein wesentliches Stück Freiheit und grundlegend für unsere demokratische Ordnung. Das Ehrenamt ist eine Chance, etwas zu bewegen und Einfluss zu nehmen. Wenn es das Ehrenamt nicht gäbe, dann würden wir ein gutes Stück Lebensqualität verlieren. Im Übrigen löst die ehrenamtliche Tätigkeit ein Wohlgefühl auch bei den Aktiven aus: mit anzupacken, Wissen vermit- teln zu können, Erfahrungen weiterzugeben. Kurz: gebraucht zu werden. Ehrenfrau mit Geschäftssinn Sandra Grass, Obermeisterin, 42 Jahre Das Handwerk in Südniedersachsen Berufs- schullehrer und Prüfer mit Idealen Christoph dos Santos Viera, Mitglied im Gesellen- prüfungsausschuss, 41 Jahre Mein Lebenslauf ist alles andere als geradlinig. Als Realschüler habe ich erst einmal eine solide Ausbildung zum Straßenbauer gemacht. Danach ging ich zur Bundeswehr und dort habe ich eine weitere handwerkliche Ausbildung zum Metallbauer abgeschlossen. Beim Militär habe ich als Stabsunteroffizier Soldaten ausgebildet und meine Leidenschaft für die Lehre entdeckt. Mit einem in Paderborn absolvierten Studium zum Berufsbildungsingenieur habe ich meinen Weg als Ausbilder aus Leidenschaft konsequent weiterverfolgt. Heute unterrichte ich an der berufsbildenden Georg-von- Langen- Schule in Holzminden als Theorie lehrer das Fach Metalltechnik für Sanitär-Heizung- Klima. Im Schnitt haben wir elf Auszubildende in einer Klassenstufe. Es ist ein tolles Gefühl, an der beruflichen Entwicklung junger Menschen mitzuwirken. Denn auch wenn viele Schulabgänger hinsichtlich ihrer Ausbildungsreife häufig kritisiert werden, bin ich von einer Sache absolut überzeugt: Es ist immer noch möglich, innerhalb von drei Jahren fertige und ausgezeichnete Anlagen- mechaniker auszubilden, die für jeden Handwerksbetrieb ein echter Gewinn sind. Meine Schüler können mir nicht egal sein Neben meiner Tätigkeit als Lehrer engagiere ich mich im Gesellen- prüfungsausschuss und nehme als fester Teil der Prüfungs- kommission seit drei Jahren die Gesellenprüfungen ab. Zuvor war ich schon sechs Jahre Beisitzer im Ausschuss. Der Kontakt der Georg-von- Langen-Schule zur Innung für Sanitär- und Heizungstechnik Holzminden ist ausgezeichnet. Und für die Schule gehört es auch zum Selbstverständnis, dass die Fach- lehrer bei den Prüfungen dabei sind. Das kann ich voll und ganz unterschreiben. Und ganz ehrlich: Meine Schüler über- nehmen später in ihrem Handwerk eine sehr große Verantwor- tung. Da bereitet es mir zum einen große Freude, auf den Fortschritt des Nachwuchses ein wachsames Auge zu haben. Aber viel entscheidender: Es kann mir einfach nicht egal sein, ob meine Schüler ihre Prüfung bestehen oder nicht. Als Lehrer braucht man Begeisterung für sein Fach, und die Prüfungen abnehmen zu dürfen, ist eine echte Herzensangelegenheit. Ich habe eigentlich mal ganz anders angefangen. Ich habe BWL studiert und stand sogar mal kurz vor der Promotion. Dann habe ich eine Weile in Hannover im Personalwesen gearbeitet. Zu dieser Zeit wollte mein Vater die Lackiererei übergeben oder abwickeln. Da war für mich klar, dass ich die Firma in vierter Gene- ration übernehmen werde. Dazu musste ich fachlich nochmal die Schulbank drücken und in die Lehre gehen. Ich habe die Ausbildung zur Fahrzeuglackie- rerin gemacht und bin heute Fahrzeuglackierer- und Karosseriebauermeisterin mit 27 Mitarbeiter*innen in der Firma. Das Ehrenamt war mir dabei schon immer sehr nahe. Mein Großvater war auch schon Obermeister der Innung. Ich bin da also im Grunde reingewachsen. Einen großen Vorteil habe ich schon immer darin gesehen, von den Erfahrungen der Älteren zu lernen. Ich muss doch nicht die gleichen Fehler wiederholen, wenn ich es vermeiden kann. Und so manches im Handwerk muss man ja auch nicht neu erfinden. Anderes wiederum schon. Was macht eigentlich eine Obermeisterin? Als Obermeisterin ist man die erste Ansprechpartnerin für die Innungs- betriebe, wenn es Fragen oder Probleme gibt, und man nimmt generelle Entwicklungen auf und trägt sie weiter an die Handwerksorganisation, damit sie auch ganz oben bei der Politik Gehör finden. Manchmal vermittelt man auch zwischen Betrieben und Kunden, wenn es Probleme gibt. Und man sorgt dafür, dass die hohe Qualität im Handwerk erhalten bleibt. Das betrifft auch die Ausbildung. Ich finde, eine der wichtigsten Funktionen im Ehrenamt übernimmt der Lehrlingswart. Er ist für die Qualität in der Ausbildung zuständig, muss sie prüfen, erhalten und verbessern. Wir, die Mitglieder und Funktionäre der Innungen, vertreten unser Gewerk außerdem auf den Berufsbildungsmessen und in den Schulen. Es entwickeln sich auch immer mehr attraktive Karrierewege im Handwerk wie duale Studien- gänge. Das sollte unbedingt weiter ausgebaut werden und wir müssen den Handwerker*innen insgesamt zu mehr finanzieller Wertschätzung verhelfen. Nur so kriegen und halten wir langfristig die Spitzenkräfte.